Chaos im Kopf

Wenn Menschen sich selbst verlieren

Wir begleiten Menschen, die durch einen Unfall oder Hirnschlag nicht mehr in der Lage sind, die Welt so zu betrachten, wie sie das vorher getan haben. Menschen, die in eine eigene, in sich völlig geschlossene Welt eingetaucht sind und fest der Meinung sind, diese Welt ist real. Vor allem durch Schlaganfälle können Menschen in diese Situation geraten. Eine häufige Diagnose: krankhaftes Nichterkennen einer Halbseitenlähmung. Eine Patientin erkennt nicht, dass sie ihren linken Arm nicht mehr bewegen kann. Sie ist trotz der medizinisch eindeutigen Diagnose der Meinung, dass alles in Ordnung ist. Sie hat nicht das Gefühl, sie belüge jemanden, sondern in ihrer Wahrnehmung ist alles beim alten. „Dass meine Frau seit dem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist, damit konnte ich mich recht schnell arrangieren. Aber dass sie ihre Krankheit verleugnet und mir versucht weiszumachen, dass ihr linker Arm lediglich eingeschlafen sei oder sie keine Lust habe, mir ihre linke Hand zu geben, das macht mich fertig.“ Eine klassische Situation während der Theraphie:„Können Sie mit ihrer linken Hand auf meine Nase zeigen?“, fragt der Arzt die Patientin. „Ja, mach ich doch“ sagt sie entschieden, während ihre Hand gelähmt zu Boden hängt. „Können Sie klar sehen, wohin Sie zeigen?", hakt der Arzt nach “Ja klar“, behauptet sie und nichts passiert. „Natürlich kann ich in die Hände klatschen", kommt die unbekümmerte Antwort auf die Frage des Arztes. Sie fährt mit der rechten Hand durch die Luft, als würde sie gegen eine imaginäre linke Hand klatschen. "Klatschen Sie?" - " Ja, ich klatsche."„An dieser Stelle, erklärt der Arzt, „produziert ihr Gehirn ein Trugbild. Selbst logisch nachvollziehbare Argumente, wie zum Beispiel, dass man das Klatschen nicht hören könne, werden immer wieder mit einem schlüssigen Gegenargument pariert, wie: „Ich kann doch nichts dafür, dass Sie das Geräusch nicht hören!“ Eine anderer Patient akzeptiert ebenfalls seine Halbseitenlähmung nicht: „Als ich meinen Mann im Krankenhaus besuchte, hatte er sich nur auf der einen Seite des Gesichtes rasiert. Das fand ich sehr merkwürdig. Als ich ihn dann darauf ansprach, tat er so als wüsste er nicht, wovon ich rede. Und ich dachte, er macht mal wieder einen seiner dummen Scherze!“, erzählt die Ehefrau eines Betroffenen. Ihr Mann leidet seit einer Hirnblutung unter einem sogenannten Neglect und blendet seine linke Körperhälfte vollständig aus. Wenn man ihn nach dem kürzesten Weg ins Büro fragt, führt die Beschreibung zwar zum Ziel, jedoch nimmt er einen absurden Umweg, da er nur Abzweigungen nach rechts angeben kann. Außerdem läßt er die linke Seite seines Tellers unberührt und hält den Kopf immer leicht zur Seite geneigt. „Seit der OP bin ich irgendwie orientierungslos und stoße mir ständig den Kopf, aber ansonsten fühle ich mich topfit“ erklärt der 58jährige unbekümmert. Für eine umfangreiche Therapie sieht er keine Notwendigkeit, da ihm die Einsicht in seine Erkrankung vollständig fehlt. Dieses Phänomen, die Anosognosie, findet sich häufig bei Patienten mit Neglect. Dabei gibt es erfolgreiche Behandlungsmethoden. Der Erkrankte wird mit Hilfe von Simulationen, Such- und Sortieraufgaben dazu angeregt, sich der betroffenen Seite wieder zuzuwenden.

Buch/Regie:
Nicola Graef

Produziert:
2008, WDR
45 min.


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